Die europäische Idee – Julio Medems «Room in Rome» und «Los amantes del círculo polar»
In all seinen Filmen spielt Europa eine wichtige Rolle – besonders aber in «Room in Rome» und seinem wohl besten Film, «Los amantes del círculo polar». Julio Medem ist ein echt europäischer Regisseur, der seinen Heimatkontinent in all seinen Gegensätzen porträtiert.
Natascha und Alba haben sich in Rom kennengelernt und fühlen sich zueinander hingezogen. Doch während die Spanierin Alba offen lesbisch lebt, steht die Russin Natascha kurz vor der Hochzeit – mit einem Bräutigam. Den zwei Frauen bleibt nicht mehr viel Zeit, ihre neue Liebe zu leben…
Otto und Ana sind Geschwister – aber auch wieder nicht. Ihre Eltern sind nämlich nicht ihre Eltern – aber Ottos Vater und Anas Mutter sind ein Paar. Ana und Otto empfinden eine Zuneigung zueinander, die von der Aussenwelt nicht akzeptiert wird, ja nicht akzeptiert werden kann. Jahre später sucht Otto seine Halbschwester in Finnland, dem Land seiner verstorbenen Mutter…
In Julio Medems Werk werden europäische Identitäten verhandelt; besonders deutlich in einem seiner weniger gelungenen Werke: «Room in Rome». Dort steht die Spanierin Alba für ein junges, aufgeschlossenes, westliches Europa, während Natascha eine traditionellere Vorstellung des Europäischen (oder vielleicht: des Russischen) verkörpert. Ihre Liebe muss unmöglich bleiben – oder doch nicht?
Anders in einem früheren Werk des spanisch-baskischen Meisters, der wie Otto quasi (von Spanien aus gesehen) nordische Vorfahren hat – also Vorfahren aus dem Land, das im Baskenland bekannt ist als Land der Operation Condor, mit der Franco das linke Baskenland in die Knie zwingen wollte. In «Los amantes del círculo polar» sind Ana und Otto Palindrom-Geschwister, verwandt, aber eben doch nicht verwandt: Ottos Vater und Anas Mutter sind zwar ein Paar, aber blutsverwandt sind sie deshalb natürlich nicht. Ottos Vater ist Spanier, seine Mutter aber ist Finnin. Das südliche und das nördliche Europa sind in Otto vereint, aber doch verliert er den Bezug zur Heimat seiner Mutter nicht nur aufgrund ihres frühen Todes.
Julio Medem (der neben baskischen und deutschen auch valencianische und französische Vorfahren hat) hat ein Faible für unmögliche Liebe; diese unmögliche Liebe ist auch seine eigene Geschichte und es ist die Geschichte Europas: Bei aller Nähe – kulturell und geografisch – sind die Wunden tief, und es sind nicht zuletzt diese Wunden, um die es in Medems Filmen immer wieder geht. Sowohl in seinen besten als auch in seinen weniger gelungenen.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass sein einziger grösstenteils englischsprachiger Film («Room in Rome», beim spanischen Titel «Habitación en Roma» entfällt die Alliteration) nur teilweise zu überzeugen vermag. Andererseits: Gerade im Sprachlichen offenbart der Film einiges. Die Verwandtschaft von Spanisch und Italienisch auf der einen Seite – auf der anderen Seite das weiter entfernte Russische (und das noch exotischere Baskisch). Aber auch hier täuscht der erste Eindruck…
«Room in Rome». UK/Frankreich 2020. Regie: Julio Medem. Mit Najwa Nimri, Natasha Yarovenko, Enrico Lo Verso, Elena Anaya u. a. DVD erschienen bei Frenetic.
«Los amantes del círculo polar». Frankreich/Luxemburg/Belgien 2019. Regie: Filippo Meneghetti. Mit Najwa Nimri, Fele Martínez, Nancho Novo, Peru Medem, Sara Valiente u. a. DVD erschienen bei Studio Canal/Arthaus unter dem Titel «Die Liebenden des Polarkreises».
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