Blaue Flecken im goldenen Käfig

In ihrem Erstling erzählt Jasna Milanovic das Schicksal ihrer Cousine. Es ist eine wichtige Geschichte, deren volle Wucht aber teilweise im Dunkeln bleibt.

Wieviel Licht ist in Sätzen wie diesem: „Ich tue mein Bestes, um zu vergessen. Aber der immer wiederkehrende Traum hat eine beunruhigende Wirkung auf mich.“ Mira wacht in der kleinen serbischen Stadt Krusevac auf, heimgesucht von einem Alptraum, der eigentlich ihre Biografie ist. Im Traum kommt ihr Mann auf sie zu, sie will weggehen verschwinden, schafft es aber nicht. In „Mira“ zeichnet Jasna Milanovic die Geschichte ihrer Cousine nach.

Diese verliebt sich in Branislav als sie länger ihre Cousinen in der Schweiz besucht. Bald wird die Liebe zum Alptraum. Ein körperlicher, da ihr Mann sie schlägt, und sie zurück in Serbien sich immer um die Kinder fürchten muss und sie sich letztlich als Gefangene in einem „goldenen Käfig“ fühlt.

Das Buch beginnt beinahe naiv im Ton, unschuldig fast, doch bald wird der Ton dunkler, je mehr Branislav seinen Charakter als Gangster enthüllt. Ein paranoider Schmalspurganove, der krankhaft eifersüchtig über seine Frau wacht, selbstverständlich mit der Sekretärin fremdgeht und gleichzeitig Mira das Leben zur Hölle macht, da sie immer fürchten muss, er vergreift sich an den Kindern.

Es sei eine Geschichte, die Frauen in ähnlichen Situationen Mut machen wolle, sagt Jasna Milanovic zu ihrem Buch und verrät schon im Klappentext, dass Branislav eines Tages an einer Ampel anhält, an der er nicht anhalten sollte. Schüsse fallen, Mira wird verletzt und Branislav getötet. Nach allen Traumata, Schicksalsschlägen, körperlichem Missbrauch noch eine Schiesserei, stellt sich wieder die Frage, wieviel Licht ist in Sätzen wie diesen: „Ich hob den Kopf und sah sie so verzweifelt an, dass es ihr ins Herz schnitt. Sie sah mir an, dass viele Träume zerschlagen worden waren. Ich hatte ein ganz anderes Gesicht als zu der Zeit als ich noch ein junges Mädchen war.“

„Mira“ ist eine Geschichte, die es absolut wert ist, erzählt zu werden. Sie zeigt eine Frau nicht gefangen in einem goldenen Käfig – trotz Villa und Urlaub am Meer, sondern in einem Teufelskreis, aus dem sie aus Loyalität zu ihren Kindern nicht ausbrechen kann. Wenn da nur die Frage nach dem Licht nicht wäre: Das Buch verpasst es die Tiefen auszuloten, innere Nöte und Konflikte zu erhellen und am Ende –selbst nach der Schiesserei- erscheint das Banditentum, der Missbrauch durch Branislav als Selbstverständlichkeit. Man ist zwar froh, dass sie ihn los ist, aber sie fragt sich nicht einmal vor Gericht, wer dieser Typ eigentlich gewesen ist.

Andy Strässle

Jasna Milanovic, Mira

IL Verlag, ISBN 978-3905955-67-5

 


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