gesichtet #10: Der Erlkönig
Von Michel Schultheiss
Wer wartet so spät am Wegrand und schaut jedem vorbeiziehenden Velofahrer nach? Kürzlich war schon einmal von einer geheimnisvollen Persönlichkeit aus der Stadt die Rede. Es gibt aber noch ein zweites Original, ebenfalls strahlend weiss und ein wenig rätselhaft. Dieses bewegt sich aber auf vier Pfoten durch die Gegend. Wo sich bisweilen Feldhasen und Wiesel tummeln und im Frühling ein Pirol zu hören ist, wacht sie stets wie angewurzelt und verfolgt das Geschehen im Wald. Dass eine Katze im Grundwasserschutzgebiet Lange Erlen bei Basel auf der Pirsch ist, mag auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches sein. Wer aber regelmässig durch dieses Naherholungsgebiet fährt, wird feststellen, dass sich das Tier Tag für Tag beharrlich auf den Veloweg legt und sich von keinem noch so schnellen Fahrrad auch nur im Geringsten erschrecken lässt. Ganz im Gegenteil: Auf jeden Menschen, egal ob zu Fuss, auf Rollen oder auf Rädern daherkommend, wird schnurstracks zugegangen. Das Tier, von dem kaum jemand weiss, woher es kommt, gehört bereits zum Inventar der Langen Erlen. Der Veloweg durch das Waldgebiet bei der Wiese ist sein Revier – und das markiert es auch das ganze Jahr über.

Wächter der Velowege: Auf das Waldoriginal in der Grundwasserzone haben die Erlenbrüche offenbar eine naturmagische Anziehung ausgeübt (Foto: smi).
Die Langen Erlen beherbergten schon immer aussergewöhnliche Bewohner. Einst gab es den zottigen Waldmenschen, der jeweils mit einem Velo voller Müllsäcke unterwegs durch die Gegend schlurfte. Laut Gerüchten soll er in der Nähe des Tierparks gehaust haben. Ein Bekannter von mir ist unwissentlich in dessen Fussstapfen getreten: Auch er hielt es mehrere Monate im stadtnahen Uferwald aus; selbst im Winter campierte er dort. Ein weiterer Winterharter hat es sich letztes Jahr bei einer überdachten Feuerstelle mit seinem Schlafsack bequem gemacht. Ähnlich ist es diesem Kater ergangen. Auch auf ihn hatten, wie in Goethes Ballade, die Erlenbrüche eine naturmagische Anziehung ausgeübt. Von der warmen Stube ist er deshalb in den einstigen Auenwald gezogen. Wie mir eine Passantin, welche das Tier regelmässig mit Katzenfutter versorgt, einmal erzählt hat, heisst der Kater eigentlich Lucky und gehört jemandem aus Lörrach. Doch der weisse Stuben- oder eben Waldtiger ist immer wieder von dort ausgebüxt. Offensichtlich fühlt sich Lucky im Uferwald heimisch. Und sichtlich hat sein Herrchen es längst aufgegeben, ihn zurückzuholen. Nun lebt er wahrscheinlich weniger vom Kleingetier aus dem Wald, sondern mehrheitlich von Spenden der Velofahrer. Zudem haben ihm die Mitarbeiter der Industriellen Werke Basels ein Körbchen für die Nacht bereitgestellt.
Der Schriftsteller Alex Capus hat dem «König von Olten», einem Kater, der zum Stadtoriginal geworden ist, zwei Bücher mit Kolumnen gewidmet. Wenn auch sein Pendant in den Langen Erlen nicht diesen Status erreicht hat, so ist es auf dem Weg dazu. Velofahrer, Spaziergänger, Walker und Inlineskater scheinen das Tier bestens zu kennen – und Lucky scheint das auch bestens zu wissen: Zutraulich wie kaum eine herumstreunende Katze, schmiegt sie sich ans Bein eines jeden Passanten. Falls sich nun unter den Lesenden ein besorgter Tierfreund befinden sollte, so ist Beruhigung angesagt: In den Erlen geht es der Katze königlich – von den Velofahrern wird sie ja mit Speis und Trank verwöhnt und auch hin und wieder tierärztlich versorgt. Und sie zu adoptieren würde auch keinen Sinn machen – schliesslich wird sie ohnehin früher oder später in ihre Wahlheimat zurückkehren.

Von dieser Katze wusste ich noch gar nicht. Ich muss definitiv wieder öfter in die Lange Erlen!
zwei fehler;einmal zwei aber am anfang, dann fehlt ein bezugsverb im letzten satz. ansonsten 1a kokumne.
Hallo Herr Schultheiss, erst jetzt sehe ich Ihren Artikel … Ich bin besagte „Besitzerin“ aus Lörrach, mit dem besitzen ist es aber so eine Sache, wenn der Kater seinen eigenen Kopf hat. Die Langen Erlen sollten es sein und sonst nichts :-) Sein Orientierungssinn ist bemerkenswert hatte er doch in null komma nichts den Weg zurück von Lörrach dorthin gefunden. Und damit sich keiner Gedanken macht: er ist bei bester Gesundheit, bekommt regelmässig einen Checkup beim Tierarzt und ist durchgeimpft. Und wird königlich von den netten Mitatbeitern des IWB versorgt.
Liebe Frau Schönherr, besten Dank für den Kommentar. Wenn es sich um einen Kater handelt, müsste also korrekterweise von einem Erlkönig die Rede sein. Freundliche Grüsse. smi
Ich hab vernommen dass der wunderbare Lucky leider bereits im Dezember 2017 über die Regenbogenbrücke ging.
R.I.P. Lieber Lucky.