Hikikomori Blues – Bernardo Bertoluccis «Io e te»

Lorenzo (Antinori) ist am liebsten alleine. Kein Wunder, schwänzt er die Skiferien und verschanzt sich im Keller im heimatlichen Rom. Seine Mutter (Falco) weiss notabene nichts davon. Doch schon bald stört eine andere Frau sein Hikikomori-Dasein: es ist die Halbschwester Olivia (Bergamasco), ein Junkie. Sie ist obdachlos und findet bei ihrem Halbbruder für eine Woche Unterschlupf – obwohl dieser sich anfangs darüber keineswegs freut…

Bernardo Bertolucci überrascht mit einem kleinen Film, einem menschlichen Film, einer Literaturverfilmung aus Italien. Wie schon im Vorgänger «The Dreamers» steht die Jugend hier wieder im Mittelpunkt – die Passion für den Film ist hier aber nicht Thema. Der scheue, auf sich selbst bezogene Lorenzo scheint sich nicht sonderlich für Kultur zu interessieren – auch wenn er Anne Rice‘ «Interview with the Vampire» und einen Band aus der (wahrscheinlich bekanntesten) italienischen Comicserie Tex mit in den Keller genommen hat. Er scheint sich aber fast mehr für die Ameisen zu interessieren, die er in einer Tierhandlung gekauft hat. So zurückgezogen lebt dieser Hikikomori in «seinem» Keller, dass er sich selbst von der populären Literatur und den «fumetti» nicht gross stören lassen will. Lieber tobt er zur Musik herum und beobachtet seine «formiche».

Lorenzo trifft seine Halbschwester Olivia. (Bild: zVg)

Lorenzo trifft seine Halbschwester Olivia. (Bild: zVg)

Lorenzo bleibt zu Hause. Auch für Bertolucci ist «Io e te» eine Rückkehr nach Hause. Vor 13 Jahren zum letzten Mal in Italien gedreht. Bertoluccis aktueller Film steht also auch für seine eigene Rückkehr in den Keller der Mutter(sprache).  Am Schluss ist Lorenzo (wie auch sein Verwandter Ben in Caroline Links «Exit Marrakech») mit seiner Halbschwester versöhnt, er hat wieder einen Zugang zu den Menschen gefunden. Lorenzo geht zurück in die Wohnung, wo ihn seine Mutter zweifellos erwartet. Olivia macht sich auf den Weg zurück nach Catania, zu ihrer eigenen Mutter. Bertolucci hat sicher schon  bessere Filme gemacht, und doch ist «Io e te» – gerade auch verglichen mit Caroline Links Film – ein mehr als nur solides Werk, das an sich keine Wünsche offenlässt.  Dass Bertolucci hier nicht versucht, mit der grossen Kelle anzurühren, gerade dies spricht für ihn und diesen zugegebenermassen kleinen, aber nicht weniger gelungenen Film, der auf Niccolò Ammanitis gleichnamiger Vorlage basiert. Das Drehbuch hat Bertolucci zusammen mit Niccolò Ammaniti , Umberto Contarello («La grande bellezza», «This Must Be the Place») und Francesca Marciano («La bestia nel cuore») geschrieben.

«Io e te»  Italien 2012. Regie: Bernardo Bertolucci.  Mit Jacopo Olmo Antinori, Tea Falco, Sonia Bergamasco, Veronica Lazar u.a. Deutschschweizer Kinostart: 14.11.2013 im Stadtkino Basel.


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