Geliebter Fremder – Anne Zohra Berracheds «Copilot»
Die deutsche Regisseurin Anne Zohra Berrached überzeugt mit einem Film, der nun wahrlich nichts für schwache Nerven ist und mit zwei Stunden Laufzeit auch ein bisschen Sitzleder braucht. Ein Film über eine Frau und ihren Mann, der ihr bis zum Schluss fremd bleibt.
Asli und Saeed sind ein Paar. Die zwei studieren Medizin; Asli ist in Deutschland aufgewachsen und ist Türkin, Saeed erst vor Kurzem aus dem Libanon übergesiedelt, seine Eltern wollen ihm eine gute Ausbildung ermöglichen. Sein wirklicher Traum ist es aber, Pilot zu werden. Nach der Heirat – gegen der Willen von Aslis Mutter – verändert sich Saeed immer mehr und plant eine Reise in den Jemen…
Drehbuchautorin Stefanie Misrachi und Regisseurin und Ko-Autorin Anne Zohra Berrached haben den Film in fünf Kapitel unterteilt, jedes steht für ein Jahr in der schwierigen Beziehung.
Es sind aber nicht im eigentlichen Sinne kulturelle Unterschiede, die die zwei unterscheiden. Sicherlich, Saeed ist Araber, stammt aus dem Libanon, aus einer sehr liberalen Familie. Aslis Mutter hingegen – der Vater ist verstorben – ist konservativ und will nicht, dass ihre Tochter einen Araber heiratet. Die Religion spielt hier keine Rolle – vielmehr handelt es sich möglicherweise um eine noch aus dem osmanischen Reich stammende Verachtung der Untertanen. Dass es Araber waren, die ihre Religion begründet haben, tut dem keinen Abbruch.
Vielleicht sind es aber auch einfach ganz allgemeine Vorurteile anderen Völkern gegenüber, die hier zum Ausdruck kommen. Es ist aber doch schwierig, hier nicht an die Geschichte des Nahen Ostens zu denken.
Zudem: sicherlich ist die Vision des Islam, den die Mutter hat, auch eine ganz andere als die von Saeeds liberaler Familie. Es sind verschiedene Völker, verschiedene Milieus, die Anne Zohra Benrached hier zeigt. Noch mehr aber zeigt sie eine Liebe, die sich aber aufgrund von Saeeds zerrissener Identität nur manchmal entfalten kann – und dann immer wieder pausieren muss. Im Grunde genommen fehlt hier (mit Homer und Daniel Mendelsohn gesprochen) die homophrosyne (omofrosíni), die gemeinsame Vision.
Asli wartet also in Deutschland und im Libanon auf ihren Mann, bis er schliesslich zurückkommt – sie planen bereits den weiteren Verlauf ihrer Ehe und nennen ihre ungeborenen Kinder Youssef, Zohra und Gül. Doch dazu kommt es nicht: Saeed will sich in den USA zum Piloten ausbilden lassen…
Anne Zohra Berracheds Film ist lang, wer aber das Sitzleder hat, wird reich belohnt – auch wenn der Film wahrlich nichts für schwache Nerven ist. Ist es ein Film über die Identitätskrise des neu eingetroffenen Migranten? Ein Film über die Ehe an sich? Ein Film über einen Culture Clash der etwas anderen Art? All dies und sicher noch viel mehr. Ein Film über die Geburt unserer Zeit. Ein Versuch auch, unsere Zeit zu erklären.
«Die Welt wird eine andere sein». Deutschland/Frankreich/Libanon 2019. Regie: Anne Zohra Berrached. Mit Canan Lir, Roger Azar, Nicolas Chaoui, Darina al Joundi u.a. Deutschschweizer Kinostart am 4. November 2021
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