Wenn der Boss Wall Street heisst – Stéphane Brizés «Un autre monde»
Philippe Lemesle (Vincent Lindon) hat einen wichtigen Job in der Firma Elsonn. Nun hat er den Auftrag, die Belegschaft radikal zu verkleinern. Gleichzeitig will ihn seine Frau (Sandrine Kiberlain) verlassen – seine Tochter wiederum lebt im Ausland und ahnt vor nichts. Und der Sohn ist überzeugt, dass Mark Zuckerberg ihn rekrutieren will …
Nach «En guerre» widmet sich der Regisseur Stéphane Brizé ein weiteres Mal den grossen sozialen Fragen unserer Zeit. Im Mittelpunkt steht hier ein Mann, der gut verdient, aber nicht mehr zu Schlage kommt mit den Widersprüchen seiner Arbeit – er will es allen recht machen und macht so es am Schluss niemandem recht.
Es ist sicher kein Zufall, dass der harte Wettbewerb zwischen verschiedenen Ländern hier zur Sprache kommt, und es ist sicher kein Zufall, dass der Chef der Firma in den USA sitzt. Er sagt: auch er habe einen Chef – «that boss is Wall Street».
Der Markt ist König, dem einzelnen Menschen kommt keine Bedeutung zu. Was heisst das aber für den einzelnen Menschen, vor allem für die Arbeiterin, den Arbeiter? Was heisst das für eine Familie, auch eine privilegierte wie die von Philippe Lemesle?
Die Familie droht an diesen Widersprüchen ebenso zu zerbrechen wie Philippe’s Karriere. Der Sohn, der meint, Zuckerberg würde ihn rekrutieren, steht auch für das Negieren der Realitäten, die auch in Philippe’s Arbeit eine immer wichtigere Rolle spielt. Was heisst das für Cooper, den Chef in den USA? Was heisst das für Philippe und seine Familie, was heisst das für die weniger Privilegierten? Vielleicht sagt der Titel alles: Es braucht eine andere Welt, in der nicht nur Wall Street zählt. Nicht nur der Profit. Eine Welt, die es an sich ja bereits gibt – auch wenn nicht bei der Firma Elsonn.
«Un autre monde». Frankreich 2021. Regie: Stéphane Brizé. Mit Vincent Lindon, Sandrine Kiberlain, Anthony Bajon, Marie Drucker, Guillaume Draux, Sarah Laurent, Valérie Lamond u.a. Deutschschweizer Kinostart am 1. September 2022.
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