gesichtet #24: Die Wahrheit über den Hunde-Singlefrauen-Trick
Von Michel Schultheiss
Der mysteriöse Flyer, der in letzter Zeit in der Stadt zu sehen war, beflügelte die Fantasie einiger Betrachter. Manche witterten eine Fährte ins Rotlichtmilieu und vermuteten eine dreiste Zuhälter-Strategie hinter dem Mädchen mit dem sehnsüchtigen Blick. Ein «Zeitnah»- Kommentarschreiber vermutete gar eine professionelle Hundewursterei hinter der Vermisst-Anzeige. Die fiese Masche diene dazu, von Mitleide geplagte Tierfreunde mit ihren Vierbeinern anzulocken, um deren Hunde in einer Lasagne verschwinden zu lassen. Ein Bekannter wiederum wollte im ziemlich gekünstelten Konterfei auf der Vermisst-Anzeige eine Bekannte aus Österreich erkannt haben, deren Bild von einem Unhold für einen derben Streich missbraucht worden sein könnte.
Bis vor ein paar Tagen hatte auch «Zeitnah» keinen blassen Schimmer, was hinter diesen trashig gestalteten Anzeigen steckt und begnügte sich mit den abenteuerlichen Spekulationen. Zur Enttäuschung aller Rätselnden ist die Wahrheit aber viel banaler: Hinter dem Aufruf verbirgt sich keine unglaubliche Geschichte wie bei den Flugblättern des verkannten Königs Dom Manuel III, sondern lediglich eine Werbeaktion für einen Film. Poppy soll auf die rabenschwarze britische Komödie Sightseers, die auch auf «Zeitnah» rezensiert wurde, aufmerksam machen. Dem weissen Terrier fällt in diesem Streifen eine tragende Rolle zu: Er wird geklaut – und daher eben von Linda vermisst. Wobei diese Frau nur auf dem Flyer und auf dem Anrufbeantworter existiert.
Nun haben viele auf eine skurrile Geschichte über einen obszönen Hundefresser mit gespaltener Persönlichkeit, welcher sich als Callgirl ausgibt, gehofft. Doch leider geht es – wie so oft – um werbestrategische Ziele. Hinter der Aktion steht der Filmverleih Cineworx. Die ganze Aktion sei aus England übernommen, wie Michael Vögtlin von Cineworx erklärt. Dort habe Poppy aber ohne sein Frauchen geworben. In der Romandie habe die fiktive Linda mit ihrem vermissten Poppy für Aufmerksamkeit und facebook-Diskussionen gesorgt, in der Deutschschweiz eher weniger. Dies hat laut Vögtlin mit den fehlenden Plakatwänden zu tun gehabt. Dennoch seien auch hier einige junge Männer der traurigen Linda auf den Leim gekrochen. Unter den SMS, die sie erhalten hat waren folgende: «Das mit deinem Hund tut mir aber sehr leid, ich wünsche Dir ganz viel Glück und Kraft!» Als dann der Besorgte über die Sightseers-Aktion aufgeklärt wurde, schrieb dieser zurück, dass das Foto «ja irgendwie schon komisch» gewesen sei. Oft waren die Antworten mit einem Smiley versehen. In aufeinanderfolgenden Nachrichten schrieb ein weiterer Interessent Folgendes: «Hey Sali ha dis Inserat gläse hei leider Poppy nit gse… aber Du fühlsch di Au Elei hani gläse :) Bisch e hübschi :)». Dann aber erfolgte vorsichtshalber ein Rückzieher «Sorry nit an di :)». Bei den französischen Antworten sollen sowohl hochpoetische wie auch vulgäre Feedbacks eingegangen sein. Leider wurden diese Minnegesänge an Linda bereits gelöscht und bleiben so der Nachwelt nicht mehr erhalten.
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Wie so oft ist die Fantasie doch spannender als die Wahrheit. Aber gute Film-PR das muss ich schon zugeben.