gesichtet #35: Ein Basar in der Bauzone

Von Michel Schultheiss

Ein alter Schweizer Armeehelm, eine Papstbüste, ein Krokodil-Präparat sowie ein Sousaphon-Trichter werden feilgeboten. Nebst Kettensägen und alten Fasnachtsblaggedde fällt auch ein seltsames Saiteninstrument auf. «Keine Ahnung, wie dieses Instrument heisst – hab ich in Ägypten oder Tunesien gefunden», erklärt der Verkäufer. Nicht nur Trouvaillen dieser Art lassen den Besucher beim Betreten der sonntäglichen Erlenmatt-Bauzone in eine andere Welt eintauchen: Egal ob es um Rasenmäher, Videogames oder Turnschuhe geht: Hier wir gefeilscht, gehandelt und ausprobiert, wie es in Basel nur selten zu beobachten ist. Am Sonntagsmarkt in der Erlenmatt geht es geschäftig zu und her: Kabel, Computer und Fernbedienungen werden auf Decken ausgebreitet, an anderen Orten stehen Velos und sogar einzelne Motorräder zum Verkauf bereit. Auch Liebhaber des Kitschs kommen bisweilen auf ihre Kosten, wenn Engelsfiguren, alte Pokale oder Rosamunde Pilcher-Romane unter den Werkzeugen und Elektrogeräten hervorstechen.

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Ein fester Bestandteil des Sonntagsmarktes: Bunt zusammengewürfelte alte Werkzeuge (Foto: smi).

Der Flohmarkt hat schon acht Jahre auf dem Buckel. Organisiert wird er von der Vereinigung interessierter Personen (ViP), die sich für Zwischennutzungen auf dem Erlenmatt-Gelände stark macht. «Es hat sowohl erfahrene Marktfahrer wie auch Leute, die nur einmal nach einer Kellerräumung vorbeikommen», erklärt die Organisatorin Bea Kiener. Mit der entsprechenden Bewilligung können auch Neuwaren verkauft werden. «Es kommen zudem Kinder, die ihr Sackgeld aufbessern möchten oder Rentner, die einen Zustupf zu ihrer AHV wollen», erklärt Kiener.

Zu den Stammgästen unter den Händlern gehört ein junger Mann aus Langenthal. Der Serbe verkauft seit rund sieben Jahren Werkzeuge. Er erhält die Sachen im Brockenhaus, bei Umzügen oder Konkurs gehenden Werkstätten. «Es ist ein Hobby», meint der Marktfahrer. Ein anderer Händler aus dem Elsass, ursprünglich aber aus Zürich, hat sich auf Schmuck und Kleider spezialisiert. Es handelt sich zum Teil um Ausschusswaren aus Fabriken. Ein älterer arabischsprechender Herr legt sorgfältig Edelsteine auf einem Tuch aus während eine Grossfamilie aus Frankreich regelmässig eine ganze Standreihe belegt. Eine andere Verkäuferin bietet Neuwertiges wie etwa eine E-Gitarre an. Man habe das Lager des Geschäfts geleert, da man sich die Miete nicht habe leisten können, meint die Frau aus Basel.

Im bunten Treiben lassen sich Kundengespräche in deutscher, französischer, italienischer, rumänischer, albanischer oder kurdischer Sprache vernehmen. «Es geht hier schliesslich auch um ein Lebensgefühl», findet ein junger ViP-Mitarbeiter. «Alles ist willkommen. Es gibt sowohl ältere Schweizer Ehepaare wie auch IV-Rentner. Die einen kommen hierher, um Vorurteile abzubauen, andere, um sie zu bestätigen», meint er. Schon manche Besucher haben sich – etwa beim Anblick der vielen Autoradios, Velos und Mobiltelefone – die Frage gestellt, ob denn nicht auch Hehlerware verkauft werde. «Alles gestohlen – diese Aussage höre ich immer wieder», meint Kiener. Die Organisatorin beschwichtigt jedoch und betont, dass stets Zivilfahnder auf Kontrollgängen unterwegs sind. Zu einer Beschlagnahmung sei es erst einmal gekommen – es habe sich um ein antikes Schwert gehandelt. Ausser Drogen, Pornografie, Waffen und Tieren sei auf dem Markt fast alles erlaubt. Einen Kanarienvogel-Verkäufer hat man schon zurückpfeifen müssen, wie Kiener erzählt.

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Ein sonntägliches Kuriositätenkabinett (Foto: smi).

Längst ist der Markt nicht nur für den Kauf und Verkauf bestimmt. Er hat sich zu einem Ort der Begegnung entwickelt: Beim transportablen Pizzaofen und indischen Essstand verpflegen sich Familien und Gruppen von Männern mit Dosenbier und Hunden. Beim Rastplatz im Freien ergeben sich gesellige Runden. «Es herrscht hier kein Konsumzwang», betont Kiener. Vom Markt profitieren also irgendwie alle – selbst auf den Nebenschauplätzen: Ein älterer Mann packt auf der Müllhalde das Füllmaterial einer weggeworfenen Jacke ein während zwei Polizisten bei den falsch parkierten Fahrzeugen von ein paar Marktfahrern Busszettel verteilen. Alles in allem bildet sich am Sonntag ein temporärer Mikrokosmos, wie er nur an wenigen Orten in Basel zu beobachten ist. Nicht alle Verkäufer sind so gesprächsbereit und freundlich wie der besagte serbische Werkzeuge-Spezialist: Bisweilen erhält der Kunde auch etwas mürrische Antworten der Verkäufer. Doch eins muss man dem Markt lassen: Er konnte sich zu einem bunt zusammengewürfelten Treffpunkt verschiedener Leute und zu einem Sammelsurium ausgefallener Gegenstände mausern.

All dies dürfte voraussichtlich in absehbarer Zeit noch bleiben: Während das nt-Areal, die einzige Kultur- und Partymeile, umgekrempelt wird und bald mit weiteren Neubauten und Parkanlagen versehen sein wird, tut dies der Durchführung des Marktes keinen Abbruch. Die Verträge werden jeweils auf ein Jahr hinaus unterzeichnet. ViP hat sich mit der Baufirma arrangiert. So können die Parkplätze der Mitarbeiter der Baufirma am Sonntag genutzt werden. Doch auch nach der Vollendung des neuen Stadtteils dürfte der Markt die Neubauten säumen. «Die Stadt möchte, dass wir bleiben», meint Kiener. Beim Projektwettbewerb «Stadtplätze Erlenmatt» für die kommende Gestaltung des Areals wurde der Sonntagsmarkt für die Nutzung miteinbezogen. Insofern wird die Gegend kontrastreich bleiben: Gleich neben den sterilen Neubauten wird weiterhin das lebhafte und unberechenbare Marktgeschehen zu sehen sein.

Einige Gedanken zu “gesichtet #35: Ein Basar in der Bauzone

  1. Workaholic

    grossartige Unterhaltung! Danke für eine tolle Kolumne. Besonders ein Satz

    „Einen Kanarienvogel-Verkäufer hat man schon zurückpfeifen müssen, wie Kiener erzählt.“

    Grosse Klasse, macht Lust auf mehr ‚gesichtet‘ …


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