Eine andere American History X: Steve McQueens «12 Years a Slave»
Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) ist ein freier Schwarzer, der mit seiner Familie im Staat New York lebt. Zwei Artisten überreden ihn, ein Engagement als Musiker in Washington DC anzunehmen. Doch in DC wird er gekidnappt und als Sklave verkauft. Ein 12-jähriger Leidensweg beginnt…
Steve McQueen, dem im vergangenen Jahr im Schaulager in Münchenstein eine grosse Werkschau gewidmet wurde, ist einerseits ein grossartiger Künstler, er ist aber zugleich unterdessen wohl einer der wichtigsten zeitgenössischen Filmemacher. Mit «Hunger» und «Shame» hat er bereits bewiesen, dass er zu den ganz Grossen gehört. Mit «Twelve Years a Slave» – die Musik stammt von Hans Zimmer – kann er sein Werk nun auch einem breiteren Publikum vorstellen. McQueen kann nicht nur auf dem Kunstmarkt, sondern auch im Arthaus- und im Mainstream-Kino bestehen. Das Drehbuch zu «Twelve Years a Slave» – es basiert auf Solomon Northups eigenen Aufzeichnungen – stammt vom Afroamerikaner John Ridley («U Turn», «Three Kings»). Auch Steve McQueen hat im weiteren Sinn afroamerikanische, genauer afrokaribische Wurzeln. Auch McQueens Vorfahren waren also Sklaven. Quentin Tarantino hingegen, der Regisseur von «Django Unchained», ist unbelastet von dieser Geschichte; als weisser Amerikaner gehört er zur privilegierten Mehrheit und konnte die Sklaverei vielleicht auch deshalb – in Spike Lees Worten – als «spaghetti western» inszenieren. Und vielleicht ist es denn auch tatsächlich kein Zufall, dass kein amerikanischer Regisseur (also weder Lee noch Tarantino), sondern ein Brite wie McQueen dieses Projekt verwirklichen konnte. Dabei sollte man sich aber überlegen, inwiefern diese verschiedenen Visionen nicht auch von politischen Vorstellungen geprägt werden – fernab von ethnischen Wurzeln. Der weisse amerikanische Regisseur John Sayles etwa hat in seinem Science-Fiction-Film (sic) «The Brother from Another Planet» das Thema Sklaverei auch ohne jegliche Verharmlosung dargestellt – was sicherlich auf Sayles‘ politische Überzeugungen verweist.
Dabei erzählt ja auch McQueens Film nicht einfach die Geschichte der Opfer. Wenn nun gewisse Kritiker gerade dies bemängeln, dann muss auch klar gesagt werden, dass gerade darin auch die Stärke des Films liegt, da es ansonsten wohl kaum möglich wäre, ein so breites Publikum für ein so schwieriges, ja schmerzhaftes Thema zu gewinnen. «Twelve Years a Slave» erzählt auch nicht die Geschichte all der namenlosen Opfer der Sklaverei, sondern vielmehr die Erfolgsgeschichte eines Mannes, der sich wieder aus der Sklaverei befreien konnte, allerdings nur mit Hilfe von aussen. Dabei deutet der Film auch an, dass selbst Weisse (in Form der Indentur, also der Vertragsknechtschaft) von der Sklaverei auch nicht verschont blieben. Im Land von McQueens Vorfahren, Barbados, war diese Form der Ausbeutung lange sehr verbreitet.
Genau diese Zugänglichkeit muss dem Film hoch angerechnet werden. Der afroamerikanische Historiker Henry Louis Gates Jr. war denn auch in beratender Funktion an McQueens Seite. 1984 wurde der Stoff bereits von Gordon Parks («Shaft») für PBS (öffentlich-rechtliches Fernsehen in den USA) verfilmt, und zwar unter dem Titel «Solomon Northup’s Odyssey». McQueens bewegender Film dürfte auch bei den Oscars dieses Jahr nicht leer ausgehen und ist schon jetzt bekannter als Parks‘ Fernsehfilm. Es ist ihm noch ein langes Leben zu wünschen. «Django Unchained» ist auf seine Art zwar auch ein guter Film, es ist aber wichtig, dass es daneben auch noch Platz hat für ernsthafte Filme wie «Twelve Years a Slave».
«12 Years a Slave». USA/UK 2013. Regie: Steve McQueen. Mit Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Benedict Cumberbatch, Brad Pitt, Paul Dano, Paul Giamatti, Lupita Nyong’o, Sarah Paulson, Alfre Woodard u.a. Deutschschweizer Kinostart: 23.1.2014.
- Wir sind die anderen #1: Jeder Topf hat einen Deckel – wo ist meiner?
- gesichtet #61: Das Geisterhaus von Riehen