Metaphern aus Asche – Christian Petzolds «Phoenix»
Nelly (Nina Hoss) hat den Holocaust überlebt. Nach dem Krieg muss ihr Gesicht wiederhergestellt werden. Der Arzt schlägt als Vorbilder Zarah Leander oder Kristina Söderbaum vor, doch Nelly besteht auf ihrem eigenen Gesicht. Als sie ihren Mann Johnny wieder trifft, beginnt eine Reise in ihre eigene, auch physische Vergangenheit. Johnny, der sich jetzt Johannes nennt, will nämlich das Erbe seiner ehemaligen Frau – und die ihr ähnelnde Esther, hinter der sich natürlich seine wirkliche Frau verbirgt, soll ihm den Weg zu den Moneten bahnen…
Kann es nach der Shoah eine Versöhnung geben? Dies ist eine der vielen Fragen, die Christian Petzolds neuer Film aufwirft. Beantwortet wird die Frage selbstverständlich nicht; Nellys Weg zurück in die Normalität ist aber schon nur deshalb nicht möglich, weil ihr Mann Johnny, der sie möglicherweise an die NS-Behörden ausgeliefert hat, sie nicht wiedererkennt. Es ist allerdings mehr als ein simples Nichtwiedererkennen der Physis, von dem Petzolds Film erzählt – das wirkliche Problem liegt tiefer. Denn nach den schrecklichen Erfahrungen im Todeslager, nach dem Verlust ihres Gesichts, nach dem möglichen Verrat ihres Gatten ist eben nichts mehr so, wie es früher war. Nelly ist, so heisst es schon früh im Film, erst 1939 aus England nach Deutschland zurückgekehrt. Sie sieht sich nicht als Jüdin; wir erfahren im Film nicht, weshalb die Nazis sie als Jüdin klassifiziert haben. Ihre Freundin Lene Winter (Nina Kunzendorf) will nach Palästina emigrieren. Nelly sagt diese Option aber gar nichts.
Petzolds Film, der auf einem Drehbuch von ihm und Harun Farocki und der bereits zwei Mal (zuerst von J. Lee Thompson, dann als französischer TV-Film von Josée Dayan) verfilmten literarischen Vorlage von Hubert Montheilet («Le retour des cendres») basiert, fokussiert damit wohl gerade (einerseits) auf die Menschen, die vom NS-Regime als Juden verfolgt wurden, die selber aber keinen Bezug mehr hatten zur Religion und Kultur ihrer Vorfahren (bzw. eines Teils ihrer Vorfahren bzw. ihrer angeblichen Vorfahren), die sich selber aber in jedem Fall anders definierten. Andererseits zeigt der Film aber auch, wie stark der Wunsch der Mittäter und Mitläufer war, alles hinter sich zu lassen. Phoenix ist im Film der Name eines Clubs, in dem auch Musik dargeboten wird. Nelly ist Musikerin, und im Phoenix lernt sie, die wie ein Phoenix wiederauferstanden ist, ihren ebenfalls musizierenden Johnny zum zweiten Mal kennen. Diesmal will Johnny sie aber gar nicht mehr wiedererkennen, er selber nennt sich Johannes, was auf das Verleugnen der eigenen Identität hindeutet. Ebenso will er bis an den Schluss nicht einsehen, dass diese Esther eigentlich seine Frau ist – und niemand anderes.
Christian Petzold legt mit «Phoenix» eine weitere spannende Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte vor. Bereits sein Erstling, «Die innere Sicherheit», beschäftigte sich mit der bundesdeutschen Vergangenheit. Petzolds Stil mag oft etwas gekünstelt daherkommen, dies tut aber der Dringlichkeit seines Werks keinen Abbruch. Falsch ist es wohl, Petzolds Filme als naturalistisch zu verstehen. Die Filme wirken zwar naturalistisch, sind es aber im Grunde genommen nicht – das war bei «Yella» wohl deutlicher, bei seinen historischen Filmen wie «Die innere Sicherheit», «Barbara» oder nun «Phoenix» ist dies weniger klar ersichtlich. Es wäre aber falsch, den Film zu wörtlich zu interpretieren.
«Phoenix». Deutschland 2014. Regie: Christian Petzold. Mit Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Michael Maertens, Imogen Kogge u.a. Deutschschweizer Kinostart: 2.10.2014.
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