gesichtet #87: Die graue Schneise – eine Hommage an Basels deprimierendste Gegend

Von Michel Schultheiss

Nach dem Spiel des FC Basel ist der Bus proppenvoll. Doch plötzlich macht sich Aufregung im Gedränge breit: Ein blutüberströmter Mann liegt auf einem Sitz. Bei der Station «Tinguely-Museum» wird der Busfahrer Jost Eberhard darauf aufmerksam gemacht. Für ihn kann der tragische Vorfall nicht passender zum Fundort sein: «Schon immer hatte er diese Haltestelle als Basels hässlichsten Ort empfunden. Eine vierspurige Strasse unter der Autobahn, eingekeilt zwischen Lärmschutzwänden und Beton».

Busfahrer an der Haltestelle Tinguely-Museum

BVB-Ablösung am tristen Ort: Die Haltestelle «Tinguely-Museum» ist einiges öder als ihr Name vermuten lässt (Foto: smi).

Das durchaus passende Statement zu diesem Ort in Basel stammt aus dem Kurzkrimi «Tod im 36er» des Schriftstellers Philipp Probst. Da der Krimiautor ebenfalls als Busfahrer arbeitet, weiss nur zu gut, was er hier seiner Figur zumutet: Bei der Haltestelle Tinguely-Museum findet nämlich jeweils die Ablösung der BVB-Chauffeure statt. Nur zu oft hat Probst wohl selbst schon in der blauen Kluft an der dunklen und staubigen Strasse ausharren müssen. Wie Jost Eberhard hat er diese Ecke unter dem mächtigen grauen Autobahnkoloss als den vielleicht ödesten Ort Basels bezeichnet und ihn daher als Kulisse für «seinen» Mord ausgesucht.

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Ein dunkler Schlund vom Badischen Bahnhof bis zur Breite (Foto: smi).

Mit dieser Ansicht steht der Schriftsteller wohl nicht alleine da: Die Gegend lädt Fussgänger kaum zum Verweilen ein. Sie gleicht einem endlosen Schlund, den man auf der Durchfahrt zum den Fussballspielen im «Joggeli» durchquert oder auf dem Weg zum Tinguely-Museum oder zum Rheinschwimmen möglichst schnell passiert. Die Betonwüste ist nur für das, was motorisiert ist, gedacht. Vielleicht bewahrheitet sich dort das, was Mani Matter in der ersten Strophe seines Liedes «Nei säget sölle mir» pointiert festhält: Kann es etwa der Endpunkt der Entwicklung von 5000 Jahren sein, wenn sich der Mensch «i de gottvergässne Stedt» duckmäuserisch dem Strassenverkehr fügen muss? Hier, bei der Strasse unter der A2, wird der Fussgänger in nicht gerade einladende Unterführungen verbannt oder auf einen Zickzack-Parcours geschickt. Gerade deswegen ist es wohl kaum ein Zufall, dass gerade in dieser Gegend die trostlosen kleinen Tunnels mit illegalen Partys bespielt werden und die Betonwände geradezu nach Graffiti-Verzierung schreien.

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(Foto: smi)

Die Autobahn mit der ihr untergebenen Strasse zieht sich vom Badischen Bahnhof zur Solitude und dann über die Schwarzwaldbrücke zur Breite. Sie ist wie eine mächtige graue Schneise, welche das Wettstein- und Rosentalquartier vom Hirzbrunnen trennt. Dies ist so seit 1973, als die Schwarzwaldbrücke errichtet wurde und Teil eines Knotenpunktes zwischen der A2 und der Autobahnverbindung nach Deutschland wurde. Vielleicht ist der lange dunkle Raum ohne Gesicht mit dem Anthropologen Marc Augé gesprochen ein Nicht-Ort. Gleichzeitig – um diesen Bau nicht nur einfach schlechtzureden – hat diese «Highway» mit Brücken und Tunnels mitten durch alles hindurch, doch auch etwas Spezielles, da es untypisch ist für eine kleine Stadt. Oder wer hat es als Kind nicht immer spannend gefunden, bei den Gucklöchern in der Unterführung beim Badischen Bahnhof auf den Autobahntunnel herabzuschauen? Doch zurück zur besagten Haltestelle, die zu Krimistoff wurde: Die Betonschneise hat dort zumindest noch einen Nachbarn, der gegensätzlicher nicht sein könnte. Die verspielten Skulpturen gleich neben der befahrenen Monstrosität. Vielleicht ergibt sich in dieser Nachbarschaft ungewollt eine Parodie vom allzu ernsten Strassenverkehr und dessen grauen Stätten.

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Foto: smi.


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