gesichtet #29: Das Enfant terrible im neuen Gewand
Von Michel Schultheiss
Von den einen wird es gemieden, von den anderen als Kuriosum bewundert: Schon einmal war hier vom wohl merkwürdigsten Gässlein Basels die Rede. Die letzte Fotokolumne bedarf allerdings dringend einer Aktualisierung: Das Steinenbachgässlein ist nicht mehr dasselbe. Einst verliehen die unzähligen Tags der hinter der Ausgangsmeile versteckten Gasse ein Bronx-Flair, was sich auch in deren inoffiziellem Namen niederschlug. Doch das Bild aus dem vorletzten Jahr muss nun ersetzt werden: Im Rahmen des Projekts «Unverschmiert schön» hat die Stadtreinigung dem Weg, welcher den Kohlenberg mit dem Steinenparking verbindet, im Jahr 2012 ein neues Gewand verpasst. Viele der einst wilden Fassaden sind nun blank geschrubbt. Einzig der depressive Roboter Marvin des Street-Art-Künstlers Seifrei sowie die bunten Wandmalereien aus dem Hause Art4000 gegenüber dem türkischen Restaurant «Kelim» haben die Aktion überlebt.
Aus der Sicht der Stadtreinigung gilt das Steinenbachgässlein als «Verschmutzungs-Hotspot». Jedoch betont Alexander Isenburg, Leiter der Stadtreinigung, dass die Beschwerden weniger aufgrund der zahlreichen Tags eingingen. Probleme mit der Gasse hätten in erster Linie sich aus anderen Gründen ergeben: Der Ort werde vielfach als Mülldeponie und Pissoir genutzt. Seine versteckte und gleichzeitig doch sehr zentrale Lage scheint so was möglich zu machen. Die Gasse wird daher regelmässig vom Unrat befreit und geschwemmt.
Doch nicht nur was Graffiti und Abfälle angeht hat sich das Steinenbachgässlein gewandelt. Auch die leerstehenden, mit der Zeit etwas schmuddelig gewordenen Schaufenster bei der Steinenmühle sind wieder neu belebt. Ein dunkler, etwas unheimlicher Durchgang führte bis vor Kurzem bloss zu einem Sex-Shop mit milchigen Fensterscheiben und schrillen Leuchtschriften. Daneben herrschte gähnende Leere in den Gebäuden. Als Kontrast stand meistens mitten in diesem heruntergekommenen Ambiente ein BMW oder ein Mercedes. Nun haben sich jedoch wieder Läden eingemietet. Der bekannte Plattenladen «Atlantis Records» ist von der Elisabethenstrasse weggezogen und hat in der Gasse eine neue Bleibe gefunden. Daneben lädt italienische Modeladen «Milena’s Shop» diejenigen ein, die während ihrer Shoppingtour einen Abstecher wagen. Gleich nebenan befindet sich eine düstere Shisha-Bar namens «Orisha Club». Ein weiteres Geschäft, passend zur Örtlichkeit mit dem Namen «Bronx Store», hat sich dort ebenfalls eingenistet.
Dennoch ist die Gasse nicht oft belebt. Und die etwas gespenstische Stimmung an diesem verborgenen Stadtfleck bleibt. Wenn die Steinenvorstadt quasi die Tussi unter den Basler Strassen ist, so ist deren kleinere Schwester, das Steinenbachgässlein, das Enfant terrible. Es ist der schwierige Zögling, welcher sich einfach nicht anpassen will oder das Schmuddelkind, welches sich gegen ein Bad sträubt. Trotz allem Zetern wurde das Enfant terrible unter den Gassen tüchtig herausgeputzt und ist auf dem Weg, salonfähig zu werden. Das ist aber nur teilweise gelungen: Reinigung und neue Läden hin oder her, haftet der Gasse nach wie vor ein gewisser Hinterhof-Charme an. Dass sie sich jemals an die «normalen» Strassen angleichen wird, ist zu bezweifeln.
- Verfinstertes Herz
- Durchgenudelt
Für diejenigen, die wissen wollen, wie das Steinenbachgässlein früher einmal ausgesehen hat, ist diese Bildersammlung der facebook-Seite «Verschwundenes Basel» hilfreich:
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=358672800852438&set=a.248306325222420.76175.233619550024431&type=3&theater
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=358672790852439&set=a.248306325222420.76175.233619550024431&type=3&theater
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=358687937517591&set=a.248306325222420.76175.233619550024431&type=3&theater
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=358672820852436&set=a.248306325222420.76175.233619550024431&type=3&theater
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=358672717519113&set=a.248306325222420.76175.233619550024431&type=3&theater
ich wohne in der steinenvorstadt und brauche das steinenbachgässlein, wenn in der vorstadt zu viel los ist. aber leider ist das steinenbachgässlein abends nur von alkoholisierten teenies und mühsamen typen bevölkert. also kein wohlfühlmoment!
leider kann cih nicht sagen, was es verbessern würde. ich fürchte, das bleibt einfach eine schlimme gasse mit dem charme einer mittelalterlichen latrine!
@Fab C.: Danke für das Feedback von jemandem aus der Nachbarschaft. Wahrscheinlich ist es die spezielle Lage des einstigen Gewerbekanals, die zu dieser etwas ungewöhnlichen Situation beigetragen hat: Auf der einen Seite das Gässlein gleich neben der Ausgangsmeile, auf der anderen Seite ist es doch auch etwas verborgen. Die einstige Nähe zur Henkersstiege und zum Kohlenberg lässt erahnen, dass diese Gegend auch früher nicht unbedingt einen guten Ruf hatte.