Von den Auswirkungen globaler Erwärmung – Matthias von Gutens «ThuleTuvalu»

Von Tanja Hammel

Nach Markus Imhoofs More than Honey (2012) über das Bienensterben zeigt uns Matthias von Guten in ThuleTuvalu, wie in Qaanaaq (in der Region Thule), im obersten Norden Grönlands das Eis schmilzt und der kleine Inselstaat Tuvalu im Pazifischen Ozean durch den steigenden Meeresspiegel immer kleiner wird. Von Guten, der mit Filmen wie Max Frisch, Citoyen (2007), Ein Zufall im Paradies (1999), Reisen ins Landesinnere (1988) auf sich aufmerksam gemacht hat, präsentiert mit seinem neuesten Werk ein eindrückliches Porträt von Menschen an unterschiedlichen Enden des Globus, deren Schicksal eng miteinander verwoben ist und macht auf die Auswirkungen globaler Erwärmung, die uns alle früher oder später in unterschiedlichem Ausmass betreffen wird, aufmerksam.

thule tuvalu

(Bild: http://www.thuletuvalu.com)

Qaanaaq (auch Thule nach der Region genannt) ist der grösste Ort des nördlichen Grönland mit 649 Einwohnern. Wir lernen insbesondere die Jäger Ramus Avike und Lars Jeremiassen kennen, die durch ihren Beruf jeweils eine sechsköpfige Familie ernähren konnten. Rasmus Avike dürfte einigen schon von The Journals of Knud Rasmussen (2006) und Arctic (2011) bekannt sein, was von Guten die Kontaktaufnahme und den Dreh vereinfacht haben dürfte, aber mit keinem Wort erwähnt wird. Die Interviews sind jeweils in Inuktun, dem nördlichen Dialekt des Grönländischen, das von knapp 800 Inughuit im Norden Grönlands gesprochen wird und über keine eigene Schrift verfügt. Die beiden werden beim Jagen von Narwalen und Robben begleitet. Dabei geben sie ihr Wissen an die nächste Generation weiter und thematisieren die Veränderungen, die sie in den letzten Jahren beobachtet haben und die ihren Alltag beeinträchtigen. In 15 bis 20 Jahren wird die Jagd in dem Masse wohl nicht mehr möglich sein und eine neue Existenz muss aufgebaut werden. Es gibt viel mehr Fische. Daher haben die beiden angefangen vom Jagen aufs Fischen umzusteigen.

Tuvalu besteht aus 10’000 Einwohnern auf neun Atollen mit insgesamt 26 Quadratkilometern, die sich über rund 700 Kilometer erstrecken und deren höchster Punkt auf vier Metern über Meer liegt. In Tuvalu zeigt ein Pflanzen-Verantwortlicher der Insel Nanumea, Kaipati Vevea, wie Palmen wegen des steigenden Meeresspiegels umfallen, das Trinkwasser aufgrund des ausbleibenden Regens immer rarer wird und das Salzwasser den Gemüseanbau erschwert. Er ist überzeugt, dass Tuvalu untergehen wird und will mit seiner Familie auswandern, wohingegen der Fischer und Kanubauer Patrick Malaki glaubt, dass Gott Tuvalu nicht untergehen lassen wird. Seine Frau Takuao, Lehrerin, hofft dass ihre drei Kinder auswandern können. Die Angst ist sichtbar in den Gesichtern, v.a. den Augen. Das traurige Schicksal der siebenköpfigen Familie der ehemaligen Lehrerin Foini Tulafono, die nach Neuseeland ausgewandert ist, wo ihr Mann nun in McDonalds arbeiten muss, wird gezeigt. Vevea Tepou (71), Vater von 21 Kindern und erster Gemeindepräsident von Nanumea findet, die Regierung Tuvalus müsste nach einem Ort suchen, wohin alle evakuiert werden könnten.

Der Dokumentarfilm zeigt berührende Schicksale und eindrückliche Naturaufnahmen. Er kommt fast ohne Zwischenkommentare aus. Man merkt, dass Matthias von Guten beide Drehorte drei Mal vor dem Dreh besucht und Beziehungen zu den Protagonisten aufgebaut hat. Diese sind meist um die 40, einige zwischen 60 und 70 Jahre alt. Es wäre spannend gewesen jüngere und ältere Menschen, v.a. aber mehr Frauen und Regierungsmitglieder zu Wort kommen zu lassen. Wie bei wissenschaftlichen Filmen über die globale Erwärmung, wo meist Wissenschaftler interviewt werden, entsteht ein falsches Bild, als ob der Klimawandel nur Männer betrifft. Während Motorräder, Motorbote, Fernsehen etc. prominent in Szene gesetzt werden, bleibt eine Reflexion über den Einfluss dieser Veränderungen auf die Natur aus. Klimawandel bleibt als solcher ein Phänomen, mit dem die Lokalbevölkerung nichts zu tun hat, das sie lediglich betrifft – woher diese kommt wird nicht thematisiert. Der UNO Klimabericht (IPCC-Report) von 2013 kommt nebenbei vor, bleibt aber ebenso abstrakt wie das Horrorszenario: Falls das grönländische Inlandeis abschmelzen würde, stiege der Meeresspiegel weltweit um 7 m an. Über die beiden Kulturen erfährt man ebenso sehr wenig. Wer sich beispielsweise für Inuit interessiert, dem seien die Igloolik Isuma Productions, Inc. Filme empfohlen. Die erste unabhängige Inuit Produktionsfirma gehört zu 75% Inuits, die auch Filme wie “Inuit Knowledge and Climate Change” (2010) gedreht haben.

Akademiker in den Ecological Humanities, beispielsweise in Australien, oder der unlängst in Basel gewesene indische Historiker Dipesh Chakrabarty fordern dazu auf, den Anthropozentrismus im Zeitalter des Anthropozän, den von Menschen beeinflusste geologische Zeitalter, zu verlassen und das Leben ins Zentrum zu stellen. In ThuleTuvalu werden Tiere und Pflanzen aber nur in ihrer Funktion als menschliche Nahrung gezeigt; welchen Einfluss der Klimawandel auf sie hat und wie sie Mensch und Umwelt beeinflussen; ihre Handlungsspielräume werden gänzlich vernachlässigt. Meiner Ansicht nach, eine verpasste Chance, denn genau das hätten wir in Zeiten von Ecopop gebraucht.

Daher sei der Film insbesondere denjenigen empfohlen, die wenig über beide Kulturen und Klimaveränderungen wissen, diese leugnen – wie beispielsweise der australische Premierminister Tony Abbott – und sich von den Auswirkungen der globalen Erwärmung an beiden Enden des Globus ein Bild machen wollen.


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