gesichtet #131: Die toten Gleise vom Hirzbrunnen
Von Michel Schultheiss
Grünzeug spriesst zwischen den Schienen, daneben stapeln sich Spraydosen, Kerzen und Bierflaschen. Es ist eine Umgebung, die locker als Kulisse einer Lösegeldübergabe der Krimiserie Tatort oder als geheimer Treffpunkt einer Vorstadt-Gang dienen könnte. Im Nirgendwo zwischen den Familiengärten und einer Hundedressurschule kommt in den verlassenen Tunnels ein Hauch von Eisenbahn-Nostalgie auf. Wann hier wohl zum letzten Mal ein Zug vorbeigerattert ist? Es muss schon eine ganze Weile her sein.
Im Gegensatz zur international bekannten «Basel Line» beim Bahnhof SBB kann man die wesentlich kleinere und etwas versteckte Wandgalerie bei der Hirzbrunnen-Promenade nicht vom Zugfenster aus bestaunen. Oben auf dem Damm braust noch die Wiesen- und Regio-S-Bahn vorbei, auf den Schienen und in den kleinen Tunnels gleich darunter herrscht dagegen tote Hose. Unweit vom mittlerweile abgebrochenen Riehener Graffitihaus mit dem bekannten Porträt von Ernst Beyeler prangt somit auch auf dem leeren Bahngelände im Hirzbrunnenquartier einiges an Kunst dieser Art. Sowohl die in Basel omnipräsenten Eulen wie auch mit anderen Motiven sind zu bestaunen. An den Pfeilern und Wänden des verlassenen Areals tut sich somit eine bunte Welt auf.
Bei diesen gesperrten Gleisen um Teile der alten Güterumfahrung Weil-Grenzacherhorn der Deutschen Bahn. Sie verharren noch ungenutzt bei der Verzweigung der Hochrhein- mit der Wiesental-Linie. Dieser Knotenpunkt liegt im Gebiet zwischen der Siedlung Landauer, dem Gymnasium Bäumlihof und dem Sportplatz Rankhof.
Nebst Graffitikunst gibt es an der mächtigen Dammanlage, die sich durch das Hirzbrunnenquartier bahnt, auch andere Anzeichen dafür, dass nicht nur Spaziergänger und Familiengärtner in der Gegend weilen: Unter einem grimmigen Kopf wurden Kerzen zwischen die Steine gesteckt. Gewiss hätten wohl evangelikale Christen in den Neunzigerjahren das Gerücht streuen können, dass hier satanische Messen stattfanden. Wahrscheinlicher ist etwas anderes: Man munkelt, im Tunnel habe es auch schon illegale Partys gegeben.
Nicht nur Menschen, sondern auch so manche «kreuchende und fleuchende» Lebewesen an der Hirzbrunnen-Promenade als Lebensraum ihren Gefallen gefunden. Wie aus dem Biotopverbundkonzept der Stadtgärtnerei zu entnehmen ist, hausen etwa die Gottesanbeterin, die Kreuzkröte und das Veränderliche Widderchen – eine Schmetterlingsart –an der Hirzbrunnen-Promenade. Offensichtlich fühlen sich diese Tiere im trockenen Lebensraum beim Bahndamm wohl.
Die Schienen haben dieser Gegend generell einen Schliff verpasst: Das Hirzbrunnen als flächenmässig grösstes Quartier mit den vielen Grünflächen war schon immer von der Eisenbahn geprägt. 1924 wurde es vom Statistischen Amt noch als Gebiet «Hinter dem Badischen Bahnhof» bezeichnet. Erst später entwickelte es sich zum Stadtteil mit Wohnsiedlungen und Sportanlagen, doch ein eigentliches Zentrum fehlt ihm noch heute.
Das Vermächtnis der Deutschen Bahn ist im Familienquartier geblieben. Die toten Gleise bei der Hirzbrunnen-Promenade sind dabei nur ein Beispiel für die brachliegende DB-Infrastruktur. Ob Bahndämme, Tunnels oder ganze Brücken wie etwa über die Wiese: Davon gibt es im ganzen Bogen vom Landauer zum Badischen Bahnhof bis hin zu den Schorenmatten und den Langen Erlen zur Genüge: Die versteckte Eisenbahnwelt, die sich durch das Quartier zieht, ist beachtlich. Im Rahmen des Entwicklungskonzept Badischer Bahnhof kam daher im Jahr 2014 die Idee ins Spiel, auf dem Bahndamm neben den Schienen einen Erlebnisweg für Fussgänger und Velofahrer von den Langen Erlen bis zum Grenzacher Horn einzurichten. Dieses Vorhaben ist aber in der Schublade liegen geblieben. Daher ist zu anzunehmen, dass die toten Gleise – zur Freude der Graffitikünstler – in absehbarer Zeit auch nicht verschwinden werden.
- Erkenne dich selbst – Michael Krummenachers «Sibylle»
- Vom Regen in die Traufe – Yannis Lanthimos‘ «The Lobster»
wo sind diese gleise genau? adresse? die ganze strecke (mittlerweile im bereich bei den langen erlen eingezäunt) hat etwas sehr faszinierendes!
An der Hirzbrunnen-Promenade, zwischen der Allmendstrasse und dem Gym Bäumlihof.
Wenn die Schienen nicht mehr gebraucht werden, könnte man die Geleise mit Feinbeton ausgiessen und hätte die perfekteste Skatebahn (auch Velo und Rollschuhe)
Gesehen auf der alten Eisenbahnstrecke von Seppois bis Dannemarie im Elsass
Mehr Hintergrundinformationen über die alten DB-Güterzugstrecken auf Basler Boden und bislang nicht realisierte Umnutzungsideen lassen sich in diesem Beitrag finden :
http://www.tageswoche.ch/+ad6l8